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Heute hatte ich eine besondere Route geplant. Mit Bahn und Bus war ich schon frühmorgens in das Simonswäldertal aufgebrochen, brauchte aber mehr als eine Stunde, um zum Ausgangspunkt meiner Wanderung zu gelangen, das Gasthaus Sternen in Obersimonswald. Dieses liegt in einer engen Kehre an der Strasse nach Gütenbach und besteht aus einem altem Bauernhaus, einem großem Bau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und einem neuen Wohnhaus. Außer einem Schriftzug auf dem großen Gebäude deutet nichts auf ein Restaurant hin. Ist der Sternen ein ehemaliger Gasthof? Der alte Bauernhof hat schon bessere Zeiten gesehen und sieht unbewohnt aus, der Garten davor ist verwildert.
Aber ich wollte schnell nach Wildgutach, zum Einstieg in die Teichschlucht. Die schmale Strasse lag so früh morgens noch im Dunklen, war nass vom Regen der letzten Nacht. Ab und zu war durch den Tannenwald die gegenüberliegende Talseite zu sehen, kleine Bauernhäuser klebten zwischen Wiesen und Wald in mehreren Etagen am Hang, darüber ein tiefblauer Himmel mit weißen Wolken, manche aufgetürmt wie Schlagsahne auf einem Eisbecher. Nachdem mich noch eine endlose Kette von Motorrädern aus München überholt hatte, war ich endlich am Eingang zur Teichschlucht, der als steiniger und schlammiger Weg wenig einladend wirkte. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch allerlei rostige und vergammelte Gerätschaften am Wegrand, sogar ein abgemeldetes Auto moderte vor sich hin.
Die Szenerie änderte sich schlagartig, als sich der Weg zu einem Pfad verengte. Es war nur noch Natur um mich herum: Bäume jeder Größe und Wuchsform, Tannen, Buchen, Bergahorn, Steine, Sträucher und Farne und mittendrin ein Wildbach, der sich laut rauschend einen Weg dazwischen suchte. Und alles grün, grün, grün: Da die Sonne den Talgrund nicht erreichte, war alles mit Moos überzogen, das nach den ausgiebigen Regenfällen der letzten Tage mit Wasser voll gesogen war und eine intensive grüne Farbe aufwies. Obwohl das Tal als Bannwald sich selbst überlassen ist, wirkte die Bachlandschaft aufgeräumt wie ein Park und der Pfad gepflegt. Und da die hoch stehende Sonne in dieser Jahreszeit die linke Talseite beschien, war es auch nicht dunkel, aber kühl und feucht. Ich folgte dem Weg weiter talaufwärts, rechts toste der weiße oder klare Bach, stürzte sich über riesige runde Steine, wand sich durch Äste und Baumreste, zwang sich durch kantige Felsen und erreichte einen Lärmpegel, bei dem man das eigene Wort nicht mehr hörte. Ab und zu erreichte ein Sonnenstrahl den Talgrund und ließ das schäumende Wasser glitzern und das grüne Moos aufleuchten. Eine riesige Tanne hatte sich quer über die Schlucht gelegt und auf der anderen Talseite einen großen gezackten Baumstumpf hinterlassen. Die Szene konnte man tatsächlich als paradiesisch bezeichnen und es wunderte mich, dass ich Niemandem begegnete.
Endlich erreichte ich eine neue Holzbank, die unter einem großen überhängenden Felsen stand, nicht weit von einer Weggabelung entfernt. Diese war mit neuen Schildern des Schwarzwaldvereins markiert, auf denen jetzt Kilometerangaben und Ziele vermerkt sind statt farbige Wanderzeichen. Und dort saß tatsächlich jemand. Der sah aber nicht aus wie ein Wanderer, sondern eher wie ein Bewohner dieser Schlucht, mit einer alten grauen Jacke bekleidet. Und die Hosen, grün wie trockenes Moos, Stiefel aus braunem Leder, auf dem Kopf ein Filzhut und im runzligem Gesicht eine Pfeife. Er stützte sich vornübergebeugt auf einen Stock und erwartete mich aufmerksam.
"Ist es heute nicht paradiesisch hier?", sprach ich ihn an "Doch, es gab in den letzten zehn Jahren keinen Tag, an dem das Wasser so klar und so reichlich, die Luft so frisch, die Pflanzen so grün und das Moos so üppig waren" entgegnete er und seine kleinen Augen blitzten lebhaft.. "Aber es kommen immer weniger Wanderer in das Tal, auch wenn der Pfad gut zu begehen ist. Aber umso besser für Sie, denn wenn das Wasser und die Sonne so viel Kraft hat wie heute, werden Goldmünzen an die Oberfläche befördert, die ein reicher Bauer vor dreihundert Jahren oben in Gütenbach in den Teichbach geworfen hat. Er hatte sich über seine drei Söhne geärgert, die auf seinen Tod gewartet hatten, um endlich das Erbe antreten zu können. Der Uhrenhandel mit Holland hatte ihm Wohlstand gebracht.
Aber für die Nachkommen blieb nicht mehr viel übrig, sodass die drei Söhne verarmten. Sie wussten nicht, wo ihr Vater das Geld versteckt hatte, kamen aber auf die Spur des Schatzes, nachdem im Simonswälder Tal einzelne Münzen gefunden wurden. Trotz jahrelanger Suche entlang des Teichbachs fanden Sie nur zwei Stücke. Sie vernachlässigten ihren Bauernhof und waren wie besessen von dem verloren gegangenen Geldschatz. Nach ihrem Tod sah man sie öfters in dunklen Nächten durch die düstere Schlucht huschen und nach dem Gold graben. Deshalb mied die Bevölkerung auch bis in jüngster Zeit diese Gegend und es entstand dieser ursprüngliche Bannwald". Nun ja, ich hatte am Eingang der Schlucht gelesen, dass der Bannwald erst vor wenigen Jahren eingerichtet wurde, aber es muss hier wohl schon immer etwas wild ausgesehen haben.
Als ob er meine Gedanken erraten hätte, fuhr er fort: "Sie müssen nicht graben, sondern nur aufmerksam den Weg entlang gehen und ich bin sicher, Sie werden was finden. Aber passen Sie auf, denn wenn Sie zuviel wollen, kommen sie vom Weg ab und Sie werden so enden wie die drei Brüder." Er zwinkerte mir zu und ich stand auf und ging weiter. Ich drehte mich nochmals um, da mir der Mann doch etwas absonderlich schien, aber er war verschwunden. Aber es lag eine goldene Münze vor dem Platz, auf dem er gesessen hatte. Ich nahm sie auf und las: 2 Gulden. Auf der anderen Seite war eine mittelalterliche Stadt und ein großes A abgebildet. Die Münze könnte aus Holland stammen. Sie sah aus wie neu. Nachdem ich sie eingesteckt hatte, ging ich zügig weiter ohne mich umzusehen. Es war mir doch etwas unheimlich zumute. Nach wenigen Minuten sah ich am Bachufer etwas blinken. Tatsächlich, es war ein weitere Münze, diesmal 5 Gulden, aber weniger gut erhalten.
Ich ging nun langsam das Bachufer entlang, da es im oberen Teil weniger wild und steil war.
Die Sonne schien nun durch immer größere Lücken und bald schwitzte ich so, dass das Hemd nass war. Ich fand noch zwei weitere Stücke am Bach und ein bemoostes Silberstück etwas abseits im Wald. Aber wo war der Wanderweg? Ich hatte die Warnung des alten Mannes vergessen und stand nun vor großen Steinen und einem kleinen Wasserfall, der mir das Weitergehen unmöglich machte. Also zurück. Und das war mühsam, da ich wieder auf den Weg auf der linken Talseite gelangen wollte. Gestrüpp, lose Steine und bizarr geformte abgestorbene Äste machten den Aufstieg zur Qual. Brombeerranken schlangen sich um die Beine und rissen an den Hosenbeinen. Äste und die ausladenden Wedel großer Farne schlugen mir ins Gesicht. Nach einer halben Stunde hatte ich es dann doch geschafft und der gepflegte Pfad nahm mich wieder auf. Und bald war die Schlucht zu Ende und ich kam auf einen geteerten Weg, der aber so steil war, dass er mir in der Mittagshitze noch einmal alles abverlangte, bevor ich den Ortseingang von Gütenbach erreichte.
Erst hier begegnete mir ein älterer Mann in zeitgemäßer Wanderkleidung, der an mir vorbei den Weg abwärts in die Teichschlucht antrat. Er grüßte mich freundlich und schon war er vorbei. An der Brücke machte ich erst mal Pause, setzte mich auf die Bank und ließ den Ausflugsverkehr auf der Landstraße an mir vorüberrauschen. Ich erinnerte mich an die Goldmünzen, die schwer in den Hosentaschen ruhten. Als ich diese herausholte und genauer betrachten wollte, war die Goldfarbe schon etwas verblichen. Nur das 2-Gulden-Stück glänzte wie neu.
Aber ich wollte ja weiter, überquerte die Hauptstrasse und ging langsam einen Weg hoch, an dem auf beiden Seiten verstreut Häuser standen. Bis mir eine kleine Mauer auffiel, die sorgfältig aus verschiedenen Bruch- und behauenen Steinen bestand: Heller Granit, graue Porphyre, geschichtete Gneise, dunkle Steine aus halb aufgeschmolzenen Mineralien mit glänzenden Glimmerstückchen, rosa Sandsteine und dunkle sauber bearbeitete Sandsteine. Ich war gerade dabei, ein Foto zu machen, als eine Stimme von oben ertönte: "Schau emol, der macht e Bild voh de Muer". Eine ältere Frau beugte sich aus dem Fenster eines Hauses und fand dies offensichtlich belustigend. Ich reagierte nicht darauf, aber kurz darauf sprach mich eine andere Frau an, warum ich von der Mauer ein Bild mache. Ich erklärte ihr, dass hier sämtliche Gesteine aus der näheren Umgebung versammelt waren und dass dies sehr dekorativ aussehe. Ihr Vater hatte diese Mauer und andere als Hobby zusammengestellt und sie konnte nun den Wert dieser Arbeit würdigen.
Nun fragte ich sie wiederum, ob sie eine Sage kenne, in der ein reicher Bauer seinen angesammelten Reichtum in den Teichbach warf, um die Söhne zu enterben. Sie verneinte erstaunt. Ich kramte in den Hosentaschen, um ihr die Münzen zu zeigen, aber ich hielt nur noch einen Haufen rostiger und bemooster Krümel in den Händen. Nur das 2-Gulden-Stück glänzte wie neu. Bei genauerem Hinsehen war dies allerdings eine holländische 2-Euro-Sonderprägung mit dem historischen Amsterdam auf der Rückseite. Es war mir peinlich und die Frau sah mich an, als ob ich nicht ganz richtig im Kopf wäre. Sie wandte sich ab und ich suchte nach der nächsten Bushaltestelle, um wieder in das Simonswäldertal zu gelangen. Die 2-Euro Münze habe ich heute noch und sie sieht immer noch aus wie neu.